Eigenes: Geschichten und Verse

Gastgeschichte von Doris Elisabeth Gries

Kurzgeschichte Doris Gries über einen Galeristen Geschenk an BeraTina

Dieser Gastbeitrag ist ein Geschenk an alle Leser*innen hier. Die Autorin Doris Elisabeth Gries aus Bad Kreuznach entschied sich während des BeraTina-Interviews spontan, diese “Lieblingsgeschichte vieler” hier online zu stellen.

Herzlichen Dank dafür! 

Die Entgleisung

© Doris-Elisabeth Gries

Ich kannte ihn schon länger, ohne wirklich etwas von ihm zu wissen. Als er mich zu seiner Vernissage einlud, war ich sehr überrascht. Es hieß, er habe ein besonderes Bild erworben, eines, nachdem er schon seit Jahren gierte. Ein Bild, das als unverkäuflich galt.
Eine echte Sensation in der Kunstszene.

Allein deshalb sollte es ein außergewöhnlicher Abend werden.
Der Galerist war arrogant und gab sich geheimnisvoll. Eigentlich mochte ich solche Typen nicht. Doch von ihm fühlte ich mich auf seltsame Weise angezogen und hätte ihn gern näher kennen gelernt.
Ich hoffte, dass es mir in nächster Zeit gelingen würde.

Am Abend der Vernissage lag eine seltsame Stimmung in der Luft.
In den Ausstellungsräumen drängten sich die Gäste.
Ich beobachtete den Galeristen eine Weile aus der Distanz. Er fiel auf, war groß und schlank und sah in seinem Armani – Anzug blendend aus. Seine halblangen Haare, pomadig glänzend, waren zu einem Zopf nach hinten gebunden. An seinem rechten Handgelenk trug er schweres, goldenes Armband.
Er bot einen seltsamen Anblick, wie er da so abwesend stand und mit verschleiertem Blick auf ein Bild starrte. Ich ging näher, wusste im Moment nicht, was mich mehr interessierte, der Mann oder dieses Gemälde.

Und dann betrachtete auch ich seine neue Errungenschaft, sah das von ihm so begehrte Objekt.
Das Bild zeigte ein wunderschönes Mädchen umgeben von blühenden Rosen. Sein Gesicht war ebenmäßig, die Augen tiefblau und die Haare dunkel und lang. Etwas Magisches ging von dem Bild aus, dem auch ich mich nur schwer entziehen konnte.
Die Farben schimmerten geheimnisvoll und die Rosen schienen ihren Duft aus dem Bild heraus zu verströmen. Fasziniert von der Schönen, konnte ich mich nur mühsam von ihrem Anblick und dem vermeintlichen Duft der Rosen lösen.

Plötzlich ging das Licht aus.
Ich erschrak. Wie gebannt blieb ich stehen. Schon als Kind hatte ich mich im Dunklen gefürchtet und mein Herz raste. Unter den Gästen brach Unruhe aus, die sich steigerte, je länger es finster blieb.
Was dann geschah, würde mich noch lange verfolgen.
Das Licht ging wieder an.
Ich sah mich um. Der Galerist hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Er stand noch immer vor dem Bild. Vielleicht sogar noch eine Spur dichter als zuvor. “Irgendwie zu dicht“, fuhr es mir in den Sinn.
In diesem Moment drehte er sich um. Sah mir direkt in die Augen und lachte.
Ein Schauer überlief mich.

Nie werde ich vergessen, was ich da gesehen habe.
In der Tiefe seiner Augen lag etwas Sadistisches. Es machte mir Angst.
Entsetzt starrte ich auf seinen offenen, breit lachenden Mund.
An seinen Lippen und Zähnen klebten Farbe und seltsam weiße Fetzen.
Obwohl es frech und unangemessen gewesen wäre, verspürte ich den Drang zu lachen. Er aber wandte sich ab und rannte wie vom Teufel gejagt aus der Galerie. Fassungslos starrte ich ihm hinterher.
Und dann lag mein Blick auf dem als unverkäuflich geltenden Gemälde.
Dort, wo ich eben noch das Mädchen mit den Rosen gesehen habe, waren die Farben verschmiert. Das einmalige Bild, war zerstört.

Mit mir war nur noch ein einziger Mann in der Galerie.
Alle anderen waren längst in Panik geflohen. Ich war sehr aufgewühlt und diesem Mann ging es augenscheinlich ebenso. Unsere Blicke trafen sich.
Ein kaum wahrnehmbares Schulterzucken.
Doch dann, ohne dass wir gewusst hätten, warum, stürmten wir auf das Gemälde zu. Lüstern leckten wir mit unseren Zungen über die Leinwand.
Gierig nagten unsere Zähne an den Stellen, wo die Farben besonders dick aufgetragen waren. Wir zerrten und rissen an dem Rahmen und zerstörten das Kunstwerk endgültig.

Als der Rausch verflogen war, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein.
Entsetzt starrten wir auf das, was vom Bild übrig geblieben war.
Irritiert schauten wir uns in die Augen und suchten nach Antworten, fanden nichts, außer weiteren Fragen.
Welche geheimnisvolle Magie lag über der Vernissage.
Welche unbegreifliche Macht hatte von UNS Besitzt ergriffen?

Schweigend verließen wir die Galerie.
Ich kehrte niemals zurück.

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