Zwischen einst und später
© Martina Decker
Ich hasse sie!
Ihre Haut ist faltig und gelb, sieht aus wie altes Pergament. Altersflecken – so zahlreich wie die Sommersprossen, die sie als junge Frau in ihrem Gesicht gestört haben.
Hohlwangig ist sie und schwach. So schwach, dass sie seit Wochen nur noch im Bett liegt. Mit jedem Tag schwinden ihre Kräfte ein wenig mehr. Früher war sie viel unterwegs und im Urlaub wandern. Bald wird sie sich gar nicht mehr bewegen können. Ihre Hände zittern, wenn sie den Becher halten sollen, beim Gehen muss sie gestützt werde.
Die Haare sind strähnig und grau und am Hinterkopf verfilzt.
Ist noch gar nicht lange her, da war sie jeden Samstag beim Frisör: Waschen – legen- trocknen. Alle acht Wochen schneiden und färben.
Was ist nur aus ihr geworden?
Ich verachte sie!
Dafür, dass sie Windeln trägt, ihre Ausscheidungen nicht mehr für sich behalten kann. Dass alles nach Urin riecht. Obwohl morgens und abends eine Schwester kommt und sie wäscht. Das kann sie nämlich auch nicht mehr. Diese reinliche Frau, die gerne auch zweimal am Tag duschte, würde heute in ihrem eigenen Dreck dahinsiechen, wenn niemand käme.
Ich schäme mich!
Sie trägt nur noch Nachthemden. Rosa Baumwolle mit Blumendruck und Spitze am Halsausschnitt. Gar nicht ihr Stil. Elegant und chic, nie zu modern, so kleidete sie sich. Sie trug nie Nachthemden – solche schon gar nicht -, bevorzugte seidene Pyjamas.
Aber die sind unpraktisch, hat die Pflegerin gesagt. So ein Hemd sei schnell mal hochgeschoben. Und Seide ist nicht kochfest – Derartige unhygienischen Zustände kann sie nicht dulden.
Warum hat sie nicht widersprochen?
Sie ist erbärmlich!
Nichts kann sie sich merken. Gesichter haben keine Namen mehr.
Welcher Tag ist heute?
Sie hat doch den Frühling so geliebt – jetzt schaut sie aus dem Fenster, sieht in die tanzenden Schneeflocken und fragt, ob der Fliederbaum schon blüht.
Hätte sie nicht an Parkinson erkranken können?
Ich bemitleide sie!
Für die nicht heilen wollenden Wunden an Steiß und Schultern. Für die wenigen Augenblicke, da ihr Blick plötzlich ganz klar ist und sie um all das hier weiß.
Bemitleide sie für das Leben, das kein Leben mehr ist.
Bedaure, dass ihr die Möglichkeit fehlt, es zu beenden.
Warum hat sie keine Vorkehrungen getroffen?
Ich sehe dieses blasse Wesen, dessen Konturen in dem steril weißen Bettzeug vor meinen Augen verschwimmen.
Sie ist mir so fremd.
Angewidert wende ich den Blick vom Spiegel gegenüber.
Sie ist ich – ich bin sie!
Tränen verschleiern meinen Blick.
Ich wollte immer alt werden. Ich liebte das Leben. Es bot mir soviel und immer wieder Neues. Ich nahm es gierig an, sog es in mir auf und schmiedete weitere Pläne.
Was hatte ich noch alles tun, welche Länder noch bereisen wollen. Ich dachte, so würde es weitergehen.
Ich wollte nie alt sein! Sah mich nicht krank und gebeugt. Vielleicht ein kleines Wehwehchen hier, ein Reißen dort. Nichts Ernstes. Am Ende würde ich friedlich und ahnungslos einschlafen und im Himmel wieder erwachen.
Warum war ich so naiv?
Jetzt liege ich hier und warte… nicht aufs Essen oder die Schwester, schon gar nicht auf einen neuen Tag. Eher, dass die Zeit endlich vergeht und meine kommt.
Dass diese Alte endlich einschlafen darf, um erst im Himmel wieder zu erwachen. Ohne Schmerzen –
mit neuen und großen Plänen –
das ewige Leben – viel Zeit, es zu entdecken –
Wie wird es sein?
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